"Theater, Bauernhof und Tourismus zur Aufwertung des Gebiets und der Schönheit der Vielfalt“
Zwischen Kampf und Verwaltung, auf dem Feld und hinter dem Schreibtisch, in den schaukelnden Wellen der Kreativität und an den festen Bojen der Buchhaltungszahlen – Judith Gögele Schmid ist ein unerschöpfliches Sammelsurium von Facetten und Anregungen, und man weiß kaum, wo man beginnen soll, wenn man sie interviewt. Nach 13 Jahren als Marketingleiterin von Pensplan beschloss sie, ihr Leben zu ändern: Gemeinsam mit ihrem Mann Florian Schmid übernahm sie die Führung des historischen Schmid-Oberrautner-Hofes in Gries in 21. Generation. Eine Entscheidung, die auf einem gut durchdachten Konzept vielfältiger Gastfreundschaft und der Aufwertung der lokalen Weinkultur beruht. Neben der aufwändigen Arbeit am Hof engagiert sie sich jedoch nach wie vor mit Leib und Seele für die Vereinigten Bühnen Bozen, dem pulsierenden Herzen des Bozner Theaterlebens.
"2024 wird ein wichtiges Jahr für die Vereinigten Bühnen Bozen. Wir haben ein ehrgeiziges und sehr wichtiges Programm für Gäste und gleichermaßen für die Bozner Bevölkerung: Die Operette 'Die Lustige Witwe' aus der Feder des Komponisten Franz Lehar in Zusammenarbeit mit dem Haydn-Orchester von Bozen und Trient wird der Höhepunkt im Mai. Weiters planen wir ein sehr interessantes Projekt über die Geschichte des Reschensees: 'Die treibende Kraft' - Ein Stück Südtirol', eine Uraufführung. Wir werden unseren Fokus gezielt auf die Zukunft und Innovation richten. Wir freuen uns, unsere enge Zusammenarbeit mit dem Haydn-Orchester, dem Teatro Stabile und der Stiftung Stadttheater und Konzerthaus sowie mit den Theatern anderer Ortschaften weiterhin zu pflegen. Dabei ist ein grundlegendes Prinzip für uns unumstößlich."
Welches?
"Unsere gesamte Produktion findet vor Ort und in Zusammenarbeit mit lokalen Talenten statt. Von der Schneiderei bis zu den Schauspielern auf der Bühne. Es ist sehr wichtig, diese Verbindung mit Kraft und Freude zu bewahren und zu schützen".
Lassen Sie uns ein wenig über Ihre Tätigkeit auf dem Schmid-Oberrautner-Hof sprechen.
"Gerne."
Was erwarten Sie 2024 für die Bozner Bevölkerung und die Touristen?
"Wir sind froh, dass wir die Renovierungsarbeiten abgeschlossen haben und nun einen Weinkeller, Ferienwohnungen und Veranstaltungsräume einrichten konnten. Heuer können wir endlich in einer stabilen Ausgangslage und mit abgeschlossenen Arbeiten in die Saison starten. Es wird das erste ganze Jahr für uns sein."
Sie haben sich im Jahr 2020, auf dem Höhepunkt der Pandemie, entschlossen, Unternehmerin zu werden. Hat das viel Mut gekostet?
"Sehen Sie, ich will ehrlich sein. Die Planungen und Arbeiten waren schon recht weit fortgeschritten, als die Folgen der Pandemie deutlich wurden. Hätten wir nach den Lockdowns entscheiden müssen, hätten wir vielleicht nicht den Mut dazu gehabt. Heute bin ich jedoch froh, denn diese Zeit war auch für die Justierung vieler organisatorischer Gesichtspunkte sehr hilfreich. Die Entscheidung, unser Angebot stark zu diversifizieren, zahlt sich heute beispielsweise aus. "
Hilft Ihnen Ihre Erfahrung als Marketing-Direktorin dabei, ein Publikum von Touristen, aber auch von Bozner Bürgern anzusprechen?
"Es gibt mir sicherlich mehr Flexibilität. Diese Art von beruflichem Hintergrund ermöglicht es mir eindeutig, in bestimmten Kommunikationsbelangen effizienter zu sein. Allerdings muss ich dazusagen, dass ich es bei meiner Arbeit im Marketingbüro gewohnt war, in einem Team zu arbeiten, während ich hier öfter allein bin. In dieser Situation ist die Unterstützung von Institutionen wie dem Verkehrsamt Bozen, der Südtiroler Weinstraße oder dem Südtiroler Weinkonsortium von größter Bedeutung.“
Warum?
"Weil sie uns erlauben, uns in die bereits bestehenden und gut funktionierenden Kommunikations- und Werbekanäle einzufügen. Ich spreche hier sowohl von der Organisation von Veranstaltungen als auch von der Bewerbung bestimmter Inhalte. Sie bieten uns eine hervorragende Sichtbarkeit. Die Werbung von Grund auf neu zu gestalten, geht mit beträchtlichem Kostenaufwand einher, so dass es von wesentlicher Bedeutung ist, über vorgefertigte Strukturen zu verfügen, in denen man sich bewegen und arbeiten kann. Wohlgemerkt, ich sage nicht, dass die Kosten für Marketingmaßnahmen übertrieben sind, denn dahinter steckt viel Arbeit, und ich weiß dies absolut zu schätzen, aber es ist nicht immer möglich, in alle verfügbaren Kommunikationsmittel zu investieren. In diesem Fall ist es wichtig, Unterstützung zu haben. Es gibt aber auch andere Erfahrungen in meinem Leben, die mir sehr zugute kommen."
Zum Beispiel?
"Ich habe in England studiert, und um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, in der Gastronomie, in der Hotellerie und als Kellnerin gearbeitet. Heute sind all diese Erfahrungen ein bereichernder Hintergrund für mich. Wenn man so will, ist es auch eine tolle Botschaft, dass alles im Leben irgendwann nützlich ist. Immer."
Sie haben sich immer sehr für die Chancengleichheit und das weibliche Unternehmertum eingesetzt. Glauben Sie, dass Frauen auch in Südtirol immer mehr zu Protagonistinnen im Tourismus werden?
"Ich glaube, dass sie schon immer Protagonistinnen waren, da es viele Familienbetriebe gibt. Wenn überhaupt, dann haben in der letzten Zeit viele Frauen die Führung übernommen, indem sie sich stärker nach außen positioniert haben. Auch in Südtirol gibt es viele großartige Frauen: Ich werde keine Namen nennen, um andere nicht vor den Kopf zu stoßen, aber es gibt überall beeindruckende Beispiele. Das ist unheimlich wichtig, weil wir den Mädchen und jungen Frauen etwas bieten können, das sie vorher nicht hatten: Vorbilder. Konkrete Beispiele, an denen sie sich orientieren und von denen sie sich bei der Innovation inspirieren lassen können. Dabei sollten wir aber immer darauf achten, dass wir zwischen den Geschlechtern unterscheiden."
Warum?
"Weil ich es für falsch halte, dieses Denken in eine Dichotomie oder Antithese zwischen Männern und Frauen zu stellen. Ich war auf Tausenden von Veranstaltungen für Chancengleichheit und bin mir der vielen Lücken, die noch zu schließen sind, absolut bewusst, aber dieser Kampf sollte nicht als dualistisch empfunden werden. Mir und meinem Mann gelingt es, hier effizient zu sein, weil wir zwei völlig unterschiedliche Ansätze haben, die sich aber in der Konfrontation gegenseitig durchdringen und bereichern. Die Synergie ist in diesem Fall der wahre Gewinn. Wir dürfen also die Welt und das Geschäftsleben nicht nur als einen Raum für Männer oder für Frauen betrachten. Ich bin der festen Überzeugung, dass Erfolg und volle Zufriedenheit in der Wertschätzung der Zusammenarbeit im Team liegen. Es ist viel sinnvoller, unterschiedliche Sichtweisen und Befindlichkeiten zusammenzubringen, als sie in eine gegensätzliche Konfrontation zu stellen. Um es einfach auszudrücken: In jedem Bereich sollten Männer und Frauen ein Gleichgewicht anstreben, bei dem 1+1 immer 2 ergibt. Die Gesellschaft braucht die Sichtweise der Frauen und kann es sich nicht mehr leisten, immer nur das männliche Denken in den Vordergrund zu stellen. Das bedeutet auch, dass die notwendige Repräsentanz in Entscheidungspositionen sowohl in politischen als auch in organisatorischen Strukturen sichergestellt werden muss. "